Ist der Xbox Game Pass die Zukunft des Videospiel-Marktes?
Wo führt uns das hin?
Der Xbox Game Pass hat für viele Menschen das Gaming revolutioniert. Doch während er für die Einen die größte Innovation seit der Erfindung des Rads ist, prophezeien andere den allmählichen Niedergang der Branche. Ich werfe heute einen Blick darauf, ob der Game Pass wirklich eine solche Revolution ist und was er zu bieten hat, um herauszufinden, ob sich die Xbox inzwischen von ihrem schlechten Ruf der letzten Konsolengeneration erholt hat. Doch zunächst schaue ich mir mal an, wie das ganze Streaming-Geschäft überhaupt angefangen hat.
Die Geschichte der Game-Abo-Dienste
Um eine Prognose darüber zu stellen, wo sich das Videospiel-Streaming hin entwickeln könnte, ist es auch wichtig, Revolutionen in vergleichbaren Bereichen zu betrachten. Vielleicht finden sich ja so einige Gemeinsamkeiten.
So dürfte Spotify beispielsweise jedem ein Begriff sein. Allerdings war der schwedische Musik-Streaming-Dienst nicht der erste seiner Art. Napster wurde etwa bereits 1999 gegründet, war damals aber vor allem für den illegalen Austausch von digitalen Inhalten bekannt und ging erst 2003 so richtig an den Start. Die Schweden zogen ganze 5 Jahre später nach, nähern sich aber mittlerweile den 500 Millionen Nutzern, von denen über 40 % ein bezahltes Abo haben. Damit ist Spotify der größte Musik-Streaming-Anbieter der Welt und hat die Art, wie wir Musik konsumieren, grundlegend geändert.
Ähnlichen Einfluss hatte Netflix im Bereich der Filme und Serien. Auch hier wurde die Streaming-Revolution von vielen mit offenen Armen empfangen und der Anbieter konnte 2012 sogar nach Europa expandieren. In beiden Fällen, also Spotify und Netflix, gab es aber auch Stimmen, die den Untergang der jeweiligen Kunst vorhersagten. Ein Argument dabei: Wenn jedes Unterhaltungswerk zu jeder Zeit zur Verfügung stünde, müssten sie untereinander mehr als je zuvor um die Aufmerksamkeit des Rezipienten buhlen und sich zunehmend an Trends orientieren.
So weit war der Gaming-Sektor aber noch lange nicht. Nur ein Jahr nach der Film-Streaming-Expansion offenbarte Microsoft bei der E3 2013 in Los Angeles voller Stolz seinen neuen Streiter im Konsolenkrieg. Das Versprechen lautete „All in One“. Was wir bekamen, war eine Einschränkung des Gebrauchtspielmarktes, Online-Zwang und jede Menge „TV TV TV“. Sony reagierte mit einer 100 $ günstigeren Konsole und einem Tutorial, in dem sie zeigten, wie sie mit Gebrauchtspielen umgingen. Sie hatten diese Schlacht gewonnen, noch bevor sie einen Fuß auf das Feld setzen mussten.
Dass die Beschränkung des Gebrauchtmarktes lediglich eine Option für Third-Party-Publisher war, interessierte niemanden. Mit eingezogenem Schwanz warf Microsoft die Pläne über den Haufen, ersetzte Don Mattrick durch Phil Spencer und versuchte zu retten, was zu retten war. Auch wenn viele der unwillkommenen Neuerungen rückgängig gemacht wurden, hatte Microsoft noch ein weiteres Problem: Ich meine, fallen dir spontan mehr als drei exklusive Xbox-Titel ein? Halo, Gears of War und Forza sind die Namen, die den meisten zuerst in den Sinn kommen dürften. Klar, Ryse: Son of Rome war eine neue IP, aber das Ruder rumgerissen hat das Spiel nicht unbedingt. Dem gegenüber stehen PlayStation-Marken wie God of War, Horizon, The Last of Us, Uncharted, Crash Bandicoot... Du verstehst den Punkt?
Gegen dieses Vorurteil musste Microsoft etwas tun. Und da hauseigene Marken zu etablieren lange dauert, ging man auf Shopping-Tour. Ganze 24 Studios gehören mittlerweile zu den Xbox Game Studios, nicht zuletzt durch die 7,5 Milliarden Dollar schwere Übernahme von ZeniMax Media 2021. Damit gingen neun weitere an Microsofts Portfolio, darunter auch Bethesda. Diese Geldsumme verblasst aber angesichts des heiß diskutierten Deals mit Activision Blizzard. Für sage und schreibe 70 Milliarden Dollar würde sich Microsoft noch einmal neun Studios einverleiben, was der Konkurrenz langsam den Schweiß auf die Stirn treibt.
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Doch woher kam der plötzliche Sinneswandel? Ganz einfach:
Der Xbox Game Pass
Am 1. Juni 2017 ging mit dem Xbox Game Pass ihr neues Projekt an den Start. Wie schon im Falle von Spotify, waren die heutigen Vorreiter nicht zwangsläufig auch die Pioniere, die als erste eine revolutionäre Idee hatten. Vermutlich hat die Person, die vor rund 6000 Jahren das Rad erfunden hat, die Idee auch nur von ihrem Nachbarn geklaut. Jedenfalls hatte unser aller Lieblingspublisher EA bereits Ende 2014 mit EA Play einen ähnlichen Service herausgebracht. Die Open-Beta eines anderen Game-Abo-Modells ging sogar noch ein wenig früher online. Na, eine Ahnung, wen ich meine? Keine Sorge, mich hat es genauso überrascht: PlayStation Now! Sony vereint nämlich ebenfalls mehr als 20 Game-Studios unter seinem Dach.
Trotzdem hatte der Xbox Game Pass allen anderen etwas voraus. Anfangs waren lediglich knapp über 100 Spiele im Angebot enthalten, doch nachdem es auf positive Resonanz traf, entschied man sich zu einem drastischen Schritt: Alle neuen Microsoft-Studios-Spiele erscheinen zum Launch auch im Game Pass. Um Titel dem eigenen Portfolio hinzufügen zu können, brauchte es aber Entwickler und so kaufte man sich Studio für Studio neue Exklusiv-Marken ein.
Zur Einführung der One hatte man versucht, Spiele von ihren Datenträgern zu lösen. Dazu sollte eine Lizenzabfrage einmal alle 24 Stunden dienen, wodurch das entsprechende Game auch ohne Disc abspielbar gewesen wäre. Das als „Online-Zwang“ abgestrafte Feature sollte aber nie das Licht der Welt erblicken.
Heutige Features wie Xbox Play Anywhere oder Cloud Streaming, mit denen Spiele mittlerweile auch auf dem PC oder Smartphone gespielt werden können, kommen dagegen zunehmend besser an. Und dass der Verkauf physischer Datenträger mehr und mehr abnimmt, scheinen auch Microsoft und Sony bemerkt zu haben. Daher war es keine große Überraschung mehr, als mit der neuen Konsolengeneration auch Modelle ohne Laufwerk vorgestellt wurden. Hätten wir an diesem Punkt also bereits vor 10 Jahren sein können?
Eine rein digitale Spielebibliothek mag für PC-Nutzer schon lange Realität sein, scheint aber erst langsam auch auf den Konsolen anzukommen. Trotzdem haben AAA-Titel wie The Last of Us längst das Produktions-Niveau von Hollywood-Filmen erreicht oder sogar übertroffen. Sie werden laut den Publishern immer größer und aufwändiger, weswegen neue Spiele heute nicht mehr 50 oder 60, sondern 70 oder 80 € kosten. Aktuelle Beispiele für diese preislichen Dimensionen wären das kommende Starfield oder Returnal. Während Ersteres zum Launch mit 69,99 € ausgeschrieben sein wird, mussten Spieler für Returnal damals satte 79,99 € hinblättern.
Daraus folgen zwei Dinge: Zum einen birgt es eine gewisse Gefahr für AAA-Titel, die nicht von Anfang an in einem Game-Abo enthalten sind, da sie sich angesichts der Konkurrenz schlechter verkaufen könnten. ACHTUNG, jetzt folgt eine Milchmädchenrechnung, aber für Leute, die sich nur ein größeres Spiel alle paar Monate leisten können oder wollen, könnte das durchaus ein Argument sein: „Warum sollte ich 80 € für Spiel-XY ausgeben, wenn ich dafür 8 Monate Game Pass bekomme?“ Und verkaufen sich Spiele schlechter, werden sie vermutlich nicht fortgesetzt. Oder aber sie sind im Abo enthalten, werden aber wegen der sperrigen Thematik nicht gespielt. Wie zu Anfang erwähnt: Wenn immer mehr Spiele um deine Aufmerksamkeit ringen, könnten schwierige Themen gerne mal hinten abfallen. Denk nur an die gewaltigen Kontroversen um The Last of Us Part 2. Hätte das den gleichen Kultstatus, wenn es unter 1000 anderen, leichter verträglicheren Games im Abo untergegangen wäre? Vielleicht, aber was, wenn…
Okay ich merke schon, wenn ich jetzt anfange über die Marktentwicklung zu sprechen, wird der Artikel doppelt so lang. Also kommen wir schnell zur zweiten Folge, die ist auch weitaus erfreulicher.
Eine neue Ära
Während der AAA-Markt also zunehmend umkämpfter wird und sich Sony und Microsoft gegenseitig die Anwälte an den Hals hetzen, boomt ein dritter Markt:
Nein, ich meine nicht Nintendo. Es sind die Indie-Games, die immer mehr in den Fokus der Konsolen-Spieler rücken. Auf Steam erscheinen wöchentlich hunderte Spiele von kleinen Independent-Entwicklern. Mit den neuen Finanzierungsmöglichkeiten eines Game Pass‘, haben die jetzt eine weit komfortablere Möglichkeit, selbst von eingeschworenen Konsoleros entdeckt zu werden. Im Fall von Tunic war sogar Entwickler Andrew Shouldice von dem großen Anklang beeindruckt, den das Spiel bei den Leuten fand. Anfang 2022 verfügten laut offiziellen Meldungen bereits 25 Millionen Menschen über ein Game Pass Abo und hatten damit unmittelbaren Zugriff auf das kleine Action-Adventure.
Tunic ist dabei natürlich nicht das einzige Positiv-Beispiel. Auch Desperados 3 vom deutschen Studio Mimimi Games profitierte laut Gründer Johannes Roth sehr von der erhöhten Sichtbarkeit, die der Game Pass bietet. Laut ihm seien viele Studios sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit. Zwar ist über die genauen Deals nichts bekannt, doch da Microsoft sich keinen weiteren Image-Schaden leisten will, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich wie Spotify verhalten. Hier bekommen kleinere Künstler aufgrund der oft geringen Klickzahlen nur sehr geringe Anteile, während bekannte Interpreten das große Geld machen. Der Verlauf dürfte eher mit dem von Netflix vergleichbar sein.
Der Streaming-Gigant hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Nischen-Filme und -Serien an die Oberfläche zu holen, um so viele Kunden wie möglich an die Plattform zu binden. Denn wenn für jeden Geschmack Inhalte existieren, bleiben die Leute am Ball. Das funktioniert so lange, bis andere Player ein Stück vom Kuchen abhaben möchten und sich das Angebot – wie aktuell der Fall – immer weiter aufteilt. Sobald sich der Kunde zwischen zehn verschiedenen Diensten entscheiden muss, weil jedes Studio seinen eigenen anbietet, werden die Abo-Zahlen zwangsläufig aufhören zu wachsen. Du dürftest ja selbst bemerkt haben, dass es neben Netflix und Amazon Prime mittlerweile auch Disney+, AppleTV+, Paramount+ und wahrscheinlich bald auch PlusTV+ gibt. Wenn das mit den Videospiel-Publishern genauso läuft, muss das Geld eben anders reingeholt werden und das bedeutet dann Mikrotransaktionen, DLCs, teurere Abo-Modelle, weniger Gewinnbeteiligung für die Entwickler usw.
Aktuell plant Microsoft allerdings noch keine Preiserhöhung für den Game Pass und auch im Fall von Netflix und Co. stellte sich diese Entwicklung erst nach ca. einem Jahrzehnt sein. Hier scheinen wir uns durch die immer zahlreicheren Anbieter und ihre werbebasierte Modelle einmal im Kreis gedreht zu haben.
Doch zu Anfang war es natürlich toll, gefühlt alle wichtigen Filme und Serien mit einem einzigen Streaming-Dienst präsentiert zu bekommen. Und jetzt gerade befinden wir uns in der noch jungen, goldenen Ära der Game-Abos. Natürlich gab es schon davor Indie-Spiele, deren Popularität durch die Decke gegangen ist – denk nur an Hollow Knight, The Stanley Parable oder Minecraft.
Mit dem Game Pass haben aber noch weit mehr Titel die Chance, über ihren Geheimtipp-Status hinaus zu wachsen. Während sich viele Gamer in den immer größeren, zeitaufwändigeren, aber teilweise auch immer gleichförmigeren AAA-Titeln verloren fühlen, bieten Indies ganze Genres, die mittlerweile fast komplett im Nischenmarkt stattfinden. Rogue-Likes wie Binding of Isaac, Metroidvanias wie die beiden Ori-Teile, Point-and-Click-Adventures wie Return to Monkey Island oder Couch-Koop-Games wie It Takes Two scheinen völlig aus dem Mainstream verschwunden zu sein. Dabei orientieren sich große Studios häufiger an kleineren und trauen sich auch mal etwas – etwa ein AAA-Rogue-Like wie Returnal.
Neben dem Gameplay können unabhängige Entwickler aber auch in Sachen Storytelling ganz neue Wege gehen (The Stanley Parable und IMMORTALITY). Das alles zeigt, welchen Einfluss der Indie-Bereich in Wahrheit hat und durch den Game Pass bekommt dieser eine weitere Plattform, die er meiner Meinung nach eindeutig verdient. Die große Revolution mag Xbox damit also vielleicht nicht angestoßen haben, aber ihr Abo-Modell ist ein weiteres Zahnrad im großen Ganzen. Für mich und viele andere besteht der Videospiel-Markt schon lange nicht mehr nur noch aus AAA-Spielen. Und daher glaube ich auch nicht, dass der Game Pass den Niedergang der Videospielbranche herbeiführen wird. Er wird sie aber definitiv verändern.
Ich bin Chris und beschäftige mich für TechRadar vor allem mit den Bereichen Filme/ Serien, TV, Grafikkarten und Gaming - im Speziellen alles rund um Xbox. Ursprünglich habe ich in Stuttgart Film- und Fernsehtechnik sowie Drehbuch-Schreiben studiert. Da ich allerdings nicht nur schon immer großer Filmliebhaber, sondern auch leidenschaftlicher Gamer war und es zudem liebe zu schreiben, habe ich mich für den Journalismus in diesem Bereich entschieden.
Erreichbar bin ich unter der Mail-Adresse cbarnes[at]purpleclouds.de